Münchner Geschichten
Wenn ich heute erzähle, dass mein Vater akademisch ausgebildeter Musiker war, dann heißt es natürlich sofort, dass es kein Wunder sei, in seine Fußstapfen getreten zu sein. Aber das stimmt nicht ganz.
Ich wurde 1948 in München als uneheliches Kind geboren. Nach einigen
Bemühungen meines Vaters und der Zustimmung meiner Mutter wurde meinem Vater das alleinige Erziehungsrecht zugesprochen. Und damit hätte ich vielleicht tatsächlich die Möglichkeit einer musischen Erziehung gehabt, wenn mein Vater in meinem 5. Lebensjahr nicht tödlich verunglückt wäre. So wuchs ich also bei den Großeltern auf und meine Großmutter war auf das Äußerste darauf bedacht, dass aus dem Kerlchen einmal ein solider Mensch werden sollte.
Mit 9 Jahren bekam ich jedoch meine erste musikalische Chance. Ich wurde im Knabenchor der Heilig-Geist-Kirche aufgenommen und brachte es sogar bis zum Vorsänger. Das war auch der erste Kontakt zur Prominenz, denn damals war der kleine Thomas Goppel ebenfalls Mitglied in diesem Knabenchor. Mit Einsetzen des Stimmbruchs war jedoch die Karriere jäh beendet.
Die folgenden Jahre tat ich dann das, worauf meine Oma äußerst bedacht war: Mittlere Reife, Beginn einer Ausbildung im Krankenhaus Schwabing und schließlich die Ausbildung zum Beamten, naja, es war nur der mittlere Dienst. Kurz vor Schulabschluss erfasste mich jedoch, wie fast jeden Jugendlichen damals, das Beatlesfieber und ich wollte unbedingt eine Gitarre haben. Unser Untermieter, der gute Onkel, kaufte mir mein erstes Instrument, da war ich gerade 15. Welchen Schwall an Vorwürfen er dafür von meiner Großmutter erntete, will ich hier nicht anführen.
Als Autodidakt übte ich in meiner Freizeit auf diesem Instrument, unterstützt von Freunden, die schon einige Griffe kannten. Seit dieser Zeit ließ ich mir, sehr zum Ärger meiner Großmutter und erst recht meines Arbeitgebers, die Haare wachsen, damals aus Opposition, heute ist es einfach Gewohnheit.
Je mehr ich auf der Gitarre konnte, umso besser musste das Instrument werden. So nervte ich die Nachbarn mit meiner neuen Elektrogitarre in der Überzeugung, dass unsere Band sehr bald entdeckt werden würde, zog als Wochenendgammler durch die Straßen Schwabings mit Mundharmonika und zwölfsaitiger Gitarre und trällerte Songs von Bob Dylan und Donovan, aber auch selbst gemachten Liedern, damals schon in bayerischer Mundart.
Diese Auftritte kamen natürlich hauptsächlich bei den Jüngeren an, überwiegend bei Mädchen, ob das allerdings wegen der Musik war, überlasse ich hiermit der Vergangenheit.
1971 hörte ich im Englischen Garten am Chinesischen Turm zum ersten Mal, wie schön Instrumente ohne Verstärker und Lärm klingen können. Es waren Arthur Loibl und Wolfram Kunkel, die mit Gitarre, Balalaika und Drehleier und vielen herrlichen Liedern die Zuhörer in ihren Bann zogen. So begann mein Interesse an Folk und Volksmusik und ich erinnerte mich wieder an die schöne Musik von Tobi Reiser, der ich als Kind fasziniert gelauscht hatte.
Als dann 1972 das MUH (musikalisches Unterholz) seine Tore öffnete, begann das persönliche Interesse am Folk immer stärker zu werden und schließlich war im Oktober 1973 der Entschluss gefasst, Hackbrett zu spielen. Es war wieder jener Arthur vom Chinesischen Turm, der mir mein erstes Hackbrett kaufte. Unermüdlich übte ich in meiner Freizeit auf diesem Instrument, alles nach Gehör, da Notenlernen für mich nur eine lästige Pflicht bedeuteten. Nach drei Wochen hatte ich mein erstes kleines Repertoire erarbeitet, darunter einige eigene Stücke, so z.B. den "Fraunhofer". (Das Stück wurde später so getauft, denn damals kannte ich die Gaststätte noch gar nicht).
Noch im selben Jahr hatte ich zusammen mit Uwe Kleinschmidt meinen ersten "großen" Bühnenauftritt, ab diesem Zeitpunkt wurde ebenfalls mit dem Singkreis der Münchner Domjugend, sowie KollegInnen aus dem Krankenhaus Neuperlach musiziert und gesungen.
1974 öffnete die Gaststätte Fraunhofer ihre Pforten und wurde zu meiner zweiten Heimat. Arthur Loibl, Sitka Wunderlich und ich verbrachten ganze Nächte im Jägerstüber´l (jetzt Kulisse), dem hinteren Teil der Gaststätte, und übten unsere Stücke ein.
So entstand die erste feste Gruppe, die "Fraunhofer Stubnmusi", das Fundament zu unserer jetzigen Fraunhofer Saitenmusik.
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Frühschoppen im Fraunhofer mit Fredl Fesl
und Uwe Kleinschmidt
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Schon damals gingen wir weit über die Grenzen Bayerns hinaus und beschäftigten uns auch mit irischer Folklore, alter Musik und russischer Volksmusik, eine Vorliebe von Arthur und Sitka. An den Sonntagvormittagen wurde im Fraunhofer mit Kollegen verschiedenster Musikrichtungen zusammen gespielt (z.B. Fangamandl, Elbdieker, den Mehlprimeln, Fredl Fesl u.a.).
So lernte ich auch den Eibl Sepp kennen, der mit einem Fernsehteam einen dieser Frühschoppen dokumentierte, ein Treffen, das noch seine Folgen haben sollte.
In dieser Zeit, die eine der Schönsten war, wurde im damaligen Jägerstüberl auch der Poetenstammtisch mit Friedl Brehm und Ossi Sölderer gegründet. Wir waren dort nicht nur die Hausband, ich kümmerte mich auch um die organisatorischen Angelegenheiten der "Mundartfreunde", die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, junge bayrische Literatur zu fördern.
Ein Förderer ganz anderer Art war Peppi Bachmaier, bis heute Fraunhofer-Wirt, dem unsere Musik gut gefiel, und der uns immer wieder die Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung stellte.
Auf einer dieser Veranstaltungen lernte ich 1975 meine Halbgeschwister, Sigi, Erika, Heidi und somit auch meine Mutter kennen. Ein Wiedersehen, dass mein ganzes Leben verändern sollte.
Sowohl Sigi und Erika, als auch Friedl Brehm bewogen mich, den Beamtenberuf endgültig an den Nagel zu hängen. Als mir meine Mutter schließlich noch eine Harfe schenkte (ein lang gehegter Wunsch von mir), entschied ich mich für das Leben eines freischaffenden Musikers und gab meinen Beruf als Beamter auf Lebenszeit am 1. Mai 1976 auf.
Mit der Harfe ein neues Leben!!
Ohne Musiklehrer, Notenlernen und Harmonielehre pauken ging da gar nichts mehr, aber ich hatte ja jetzt genügend Zeit dafür.
Meinen Unterhalt bestritt ich mit Auftritten der Fraunhofer Stubnmusi, die immer mehr wurden, Gitarreunterricht i. A. des Münchner Kulturreferats und Jobs im Musikhaus Bauer am Marienplatz sowie im Fraunhofer, wo ich November 1976 vom Stammgast zum Mieter wurde. Zwei leerstehende Räume im Theater wurden für über 12 Jahre meine neue Heimat und auch zum Ausgangspunkt der heutigen Gruppe.
Es war ein glücklicher Zufall, als ich im Frühjahr 1978 Heidi Karutz (jetzt Zink) kennenlernte.
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Heidi
war von dem Klang des Hackbretts fasziniert und mit nur wenig Überredungskunst machte sie auf diesem Instrument ihre ersten Anfänge im Spätsommer.
Dazu gesellte sich noch der Zitherspieler Arno Sautter aus Eresing am Ammersee und so wurde neben der Fraunhofer Stubnmusi musiziert.
Als wir uns dann, Arthur, Sitka und ich, im Herbst 1978 endgültig trennten, war der Weg zu einem neuen Anfang frei.
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Heidi beim Urs Klauser in der Schweiz
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Seit diesem Zeitpunkt konzentrierte ich mich hauptsächlich auf die Harfe und hätte das Hackbrettspielen vielleicht ganz aufgehört, aber da kam ein zweites Mal der Eibl Sepp.
Er gründete 1979 seine Schule für bairische Volksmusik und war auf der Suche nach geeigneten Vermittlern zum Musizieren. So wurden wir über Nacht zu Musiklehrern, mit gleichzeitigem Ausbildungsplatz vor Ort. Die Handschrift vom Eibl Sepp ist auch heute noch teilweise in unserer Gruppe hörbar. Jedenfalls war das der Beginn einer Nebentätigkeit, der ich bis heute nachgehe, wenn auch inzwischen an einer anderen Schule.
Musizieren mit Sepp Eibl und Freunden
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Der Rest ist schnell erzählt. Anfangs spielten wir mit vielen Freunden, wie Ernst Hoffmann, Ulrike Zöller, Regina Willecke, Jochen Schlemmermeyer und Jörg Weickl zusammen.
1981 kam schließlich
Gerhard Zink
als unser neuer Bassist zu uns und wurde zum festen Bestandteil der Fraunhofer Saitenmusik.
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Als Trio unternahmen wir in den folgenden Jahren viele Reisen, anfänglich als musikalische Begleiter von Sigi Zimmerschied´s 1. Passauer Volkstheater durch Bayern und Österreich, später über das Goethe-Institut in viele Länder Afrikas und Asiens.
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Das jährliche Adventskonzert beim Vogelwirt in Eresing
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Lange Zeit als Trio unterwegs, beschlossen wir 1992, uns nach fast 10 Jahren mit einem Gitarristen zum Quartett zu erweitern. Gründe dafür gab es genug: zum einen der Vertonungsauftrag an mich für ein Freilichtspektakel in Schongau ("Die Hexe von Schongau"), zum anderen eine Reise nach Pakistan, Indien und Sri Lanka, wieder einmal im Auftrag des Goethe- Instituts.
Michael Klein
begleitete uns mit der Gitarre 500 Konzerte lang. Danach wollte er sich im August 1998 eine Sommerpause gönnen. Aber erst seit August 2009 spielen wir nach viele Triojahren wieder mit ihm als Quartett.
Als ich 1982 von der LH München einen Förderpreis für Interpretierende Kunst bekam, sah ich das als Ermutigung für unsere gemeinsamen Bemühungen und als Aufforderung zum Weitermachen an.
Also, so machen wir halt immer noch weiter.
Foto © Michael Zirnstein
Pionier der Volksmusik
Der Gründer der "Fraunhofer Saitenmusik" Richard Kurländer ist gestorben
"Volksmusik in schwierigen Zeiten" hieß die 1983 erschienene erste Platte der Fraunhofer Saitenmusik. Man mag beim Vergleich der Situation des Musikbetriebs damals und heute darüber lächeln, aber in diesem Genre war das damals Ausdruck einer revolutionären Programmatik. Ging es Richard Kurländer, dem Gründer und Leiter der Gruppe, doch darum, die traditionelle Volksmusik aus den Klauen der volkstümlichen Musik zu befreien. Ersichtlich schon am Äußeren, trug Kurländer doch keine Tracht, sondern alternative Klamotten und - bis zuletzt - sehr lange Haare.
Mit als erste Gruppe ging die Fraunhofer Saitenmusik aber auch im Repertoire weit über die bislang engen alpinen Grenzen hinaus und beschäftigte sich mit irischer Folklore, alter Musik oder russischer Volksmusik. Das Trio mit Kurländer an der Harfe sowie am Appenzeller und Salzburger Hackbrett, Heidi Zink an Hackbrett und Blockflöte sowie Gerhard Zink am Kontrabass - später auch immer wieder mit dem Gitarristen Michael Klein zum Quartett erweitert - betrat damit nicht nur musikalisches Neuland, sondern erspielte sich sogar ein junges Publikum. Jahrzehntelang. Und trat damit in aller Welt auf, von Indien über Südafrika bis Haiti.
Für Kurländer selbst war diese Karriere sozusagen der dritte Bildungsweg. 1948 in München geboren, zunächst vom sehr früh verstorbenen Vater allein aufgezogen, dann bei den Großeltern aufgewachsen, musste er erst etwas "Sicheres" machen, was in der Mittleren Beamtenlaufbahn mündete. Seit seinen Teenagerjahren aber hatte, angeregt von Donovan und Bob Dylan, die Gitarre immer mehr Platz in seinem Leben gefordert, und ihn zum "Wochenendgammler durch die Straßen Schwabings mit Mundharmonika und zwölfsaitiger Gitarre" gemacht, wie er es später beschrieb.
Der Wendepunkt kam 1971, als er am Chinesischen Turm Arthur Loibl und Wolfram Kunkel und damit "zum ersten Mal hörte, wie schön Instrumente ohne Verstärker und Lärm klingen können." Er wandte sich erst der Volksmusik, dann dem Hackbrett und schließlich der Harfe zu, die sein Hauptinstrument wurde.
Die ersten Schritte passierten im MUH, bis 1974 das Fraunhofer seine Pforten öffnete und zu seiner zweiten Heimat wurde. Buchstäblich, denn 1976 kündigte er als Beamter, zog als Mieter in zwei leer stehende Räume im Theater ein (nach zwölf Jahren zog er nach Unterhaching um), und stellte mit seiner zunächst Fraunhofer Stubnmusi genannten Truppe die Hausband.
Nebenbei verdiente er als Musiklehrer Geld, und 1979 kam dann mit den Zinks die endgültige Fraunhofer Saitenmusik zusammen. Die auch Keimzelle für eine andere wegweisende Sache war, die Kurländer 1990 mit Fraunhofer-Wirt Beppi Bachmaier ausheckte: Die "Fraunhofer Volksmusiktage". Unter Kurländers Leitung wurde aus einem einwöchigen Treffen von Volksmusikfreunden das fast zweimonatige Stelldichein aller denkbarer Volksmusik-Vertreter von Nah und Fern.
Viele Jahre lang, bis zum Tod von Heidi Zink 2013, bestritt die Fraunhofer Saitenmusik traditionell den Auftakt - immer stärker als "Klassiker", blieb Kurländer mit den Seinen doch dem Rahmen der traditionellen Volksmusik treu und ging den Schritt vieler anderer ( Quadro Nuevo beispielsweise) in den Genre-Mix nicht mit.
Am vergangenen Freitag ist Richard Kurländer nun nach längerer schwerer Krankheit gestorben. Er war für einige Tage vom Krankenhaus beurlaubt, saß in seinem Schaukelstuhl und hörte Musik.
Oliver Hochkeppel, Mai 2024, SZ
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